Jürgen Partenheimer, La robe des choses, S.M.A.K, 2002

















Cover A la rêveuse matière,
(
continuous etching on front and back cover).

 






Der bei Köln lebende Künstler Jürgen Partenheimer zeigt im Genter Museum seine Wahlverwandt schaft mit dem Dichter Francis Ponge.

von Amine Haase

 

 

 

Wörter, wenn sie sich zu Worten gruppieren und in Sätzen zusammenfinden, können uns die Welt erklären. Je nachdem, wer sie formuliert und formiert, kann das eine nüchterne Beschreibung, Information, Feststellung sein. Oder es kann ein Schleier sein, der sich über die Objekte legt, die wir ja nur mit Hilfe der Wörter definieren und damit erkennen können. Ein Schleier, der uns paradoxer Weise die Dinge klarer erkennen lässt. Wer Worte so verhüllend-enthüllend gebrauchen kann, ist ein Zauberer.
Francis Ponge (1899-1988), ein in Deutschland immer noch viel zu wenig bekannter französischer Dichter, gehört zu diesen Zauberern. Er versuchte unermüdlich, der 'stummen Welt das Wort zu erteilen'.
Analog dazu versucht der in der Nähe Kölns lebende Künstler Jürgen Partenheimer der stummen Welt eine Form zu geben. Für die Ausstellung, zu der ihn Jan Hoet in sein Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (Smak) nach Gent einlud, wählte er den Titel eines kurzen Textes von Francis Ponge, La robe des choses, das Gewand der Dinge. Ponge spricht im ersten Satz von den 'hinterlistigen Veränderungen', welche die Oberfläche der Dinge durch natürliches oder künstliches Licht, durch Wind, Wolken, ja durch den leisesten Hauch und die zarteste Bewegung erfahren. Der Dichter regt dazu an, das genaue Hinschauen zu lernen, so dass derjenige, der 'ganz einfach den Tag betrachtet', schließlich erkennt, dass sich das Gewand der Dinge je nach Zeit und Ort verwandelt.
Jürgen Partenheimer nimmt die Anregung von Francis Ponge wörtlich
- zumindest, was die Ausstellungsform und seine Skulpturen betrifft.
Und er übt sich geduldig in der Annäherung an die veränderlichen
Schichten der Dinge, Schichten jenseits der wiedererkennbaren Wirklichkeit - in seinen Zeichnungen und Bildern. Seine Weltachse, die als Skulptur vertikal hoch aufgerichtet zum Beispiel aus dem Bonner Kunstmuseum bekannt ist, hat er in der originalen Karton-Version in ihre einzelnen Kuben zerlegt und in eine Glasvitrine gesperrt. Die steht jetzt zental in dem großen Seitenlichtraum des ersten Museums-Stocks. An die Rückwand gelehnt und ebenfalls in Einzelteile zerlegt ist die 'Fraktale Schleife', die ursprünglich als große Bodenarbeit gedacht ist und jetzt wie eine Wandzeichnung wirkt, beziehungsweise ein Relief aussieht.
Die Veränderbarkeit des Objekts, des Materials, seiner intellektuellen
Voraussetzung und seines geistigen Zustands demonstriert Partenheimer also mit ganz einfachen Mitteln. Und wer noch einen Beweis braucht
oder ein Mittel der Annäherung, für den hat er seinen Atelier-Sessel - auf Rollen - in den Ausstellungsraum gestellt.
In den Seitenkabinetten, die rechts und links an den mittleren Raum, wohl der schönste des Museums, anschließen, sind neuere Zeichnungen und Bilder Partenheimers zu sehen. Fragile Notate des Erinnerns - an Aufenthalte in Spanien, an Begegnungen mit China, an Gesehenes, Erlebtes, Gehörtes - und Gelesenes.
Der Genter Verleger Ergo Pers hat ein wunderschönes Buch publiziert, in dem Radierungen von Jürgen Partenheimer auf Texte von Francis Ponge treffen, La rêveuse matière, Die träumerische Materie. 'Wahrscheinlich, ist alles und sind alle (auch wir selbst) nur Träume, unmittelbare, der göttlichen Materie: wörtliche Erzeugnisse seiner verschwenderischen Eingebung.'Ein Kapitel dieser Text-Sammlung ist La robe des choses - neben 'Die Dolden' (reinster Klang, wie im Original 'Les Ombelles'), 'Die Landschaft', 'Die Erde'. Und Partenheimer gelingt es tatsächlich, den Klangzauber in Linien und Farben einzufangen.

 

Amine Haase in Kölner Stadtanzeiger, 30.8.2002.